Im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes hat Prof. Dr. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland sowie in 15 anderen europäi-schen Gesundheitssystemen einem systematischen Vergleich unterzogen. Es sollte untersucht werden, welche Mechanismen und regulatorischen Maßnahmen die Arzneimittelversorgung im Vergleich zu Deutschland prägen.
In seiner Studie kommt Prof. Busse zu folgendem Fazit: „Nirgendwo sonst stehen neue Arzneimittel so schnell und umfassend für die Behandlung von Krankheiten öffentlich erstattet zur Verfügung wie in Deutschland. Bezahlt wird dies mit im europäischen Vergleich hohen Arzneimittelausgaben, wozu aber auch das wei-terhin überdurchschnittliche Preisniveau in Deutschland beiträgt.“
Es profitierten aber nicht immer alle Behandelten von einem neuen Arzneimittel, sondern oftmals nur bestimmte Patientengruppen. Daher werde, so Busse, in den meisten europäischen Ländern auf Basis von Nutzenbewertungen der Einsatz von neuen Arzneimitteln auf die Patientengruppen beschränkt, bei denen die Medi-kamente wirklich einen Zusatznutzen aufweisen. In Deutschland hingegen beste-he für praktisch alle verschreibungspflichtigen Präparate eine umfassende Erstat-tungsfähigkeit.
„Um das Preis-Leistungs-Verhältnis bei neuen Medikamenten zu verbessern, sollte auch in Deutschland eine gezieltere Nutzungssteuerung bei neuen Arz-neimitteln erwogen werden“, so Prof. Busse weiter. Da die Nutzenbewertung
bereits auf der Ebene von Subgruppen stattfände, lägen die hierfür notwendigen Informationen hierfür auch bereits regelmäßig vor.
Die Studie von Prof. Busse zeigt, dass das deutsche Preisniveau für Arzneimittel im europäischen Vergleich im oberen Mittelfeld liegt. Sie vergleicht hierzu die tatsächlichen Preise nach den in den jeweiligen Ländern stattfindenden Rabatt- und Erstattungsbetragsverhandlungen. Andere Studien legen öffentlich zugängli-che Listenpreise zugrunde, lassen jedoch gesetzliche Abschläge sowie die diffe-renzierten indikationsabhängigen Erstattungsregeln in anderen Ländern außer Acht und kommen so zu der Aussage, das Preisniveau für neue Arzneimittel mit Zusatznutzen in Deutschland liege unterhalb des europäischen Durchschnitts.
Dazu erklärt Johann-Magnus v. Stackelberg, stellv. Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes: „Wer Listenpreise für kleinste Patientengruppen im Aus-land vor Preisverhandlungen mit den tatsächlichen Erstattungspreisen in Deutschland nach den Verhandlungen vergleicht, setzt Äpfel mit Birnen gleich und ist zumindest an echter Transparenz nicht interessiert. Hinzu kommt, dass die Erstattungspflicht in Deutschland nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt ist, sondern derzeit auch für diejenigen gilt, für die das neue Medikament gar keinen Zusatznutzen hat.“
Die Studie zeigt, dass Deutschland aufgrund der im internationalen Vergleich als großzügig zu bezeichnenden Rahmenbedingungen im Bereich der Arzneimittel-vergütung weiterhin ein interessanter Pharmastandort ist. Innovationen sind di-rekt nach der amtlichen Zulassung für alle GKV-Patienten verfügbar und damit auch unmittelbar eine Einnahmequelle für den Hersteller – und das auf einem überdurchschnittlichen Preisniveau.
„Es kommt noch hinzu“, so v. Stackelberg, „dass GKV-Versicherte wesentlich geringer mit Zuzahlungen belastet sind, als Versicherte in anderen Ländern. Die-se geringe finanzielle Belastung unserer Versicherten ist ein weiteres, schüt-zenswertes Plus für die Patientinnen und Patienten und den Pharmastandort Deutschland.“
Reformbedarf beim AMNOG
Die Studie verdeutlicht eine weitere deutsche Besonderheit: In den meisten ande-ren europäischen Ländern wird der Preis unmittelbar mit der Erstattungsfähigkeit festgesetzt oder vereinbart. Nur in Deutschland können die Hersteller in den ersten zwölf Monaten nach der Zulassung eines neuen, innovativen Arzneimittels jeden beliebigen Preis verlangen, der dann durch die gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden muss.„Mit der frühen Nutzenbewertung und den Preisverhandlungen für neue Medika-mente sind wir gegenüber dem früher herrschenden absoluten Preisdiktat der Industrie einen wesentlichen Schritt weiter gekommen. Der eingeschlagene Weg ist richtig und sollte fortgesetzt werden. Schließlich ist es nicht einzusehen, dass die Beitragszahler ein Jahr lang jeden beliebigen Preis finanzieren müssen, den sich ein Pharmaunternehmen ausdenkt. Deshalb fordern wir, dass die am Zu-satznutzen orientierten Erstattungsbeträge in Zukunft rückwirkend gelten müs-sen“, so v. Stackelberg. „Das ist auch zumutbar und planbar: Die Hersteller ken-nen ihre Produkte und können sehr genau einschätzen, wie hoch der Therapie-gewinn gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie tatsächlich ist.“
Aufgrund der mehrjährigen Erfahrungen mit den AMNOG-Mechanismen könnten sie dann ihre Preise realistisch kalkulieren und würden nicht darauf setzen, im ersten Jahr nach der Zulassung unabhängig vom Zusatznutzen für die Patienten möglichst viel Gewinn abschöpfen zu wollen.
V. Stackelberg weiter: „Mit einem rückwirkenden Erstattungsbetrag gäbe es wei-terhin Spitzenpreise für Spitzenprodukte, aber keine Mondpreise mehr für Medi-kamente ohne Zusatznutzen.“
Die vollständige Studie von Prof. Dr. Busse, Dimitra Panteli und Dr. Cornelia Hen-schke finden Sie im Internet unter www.gkv-spitzenverband.de