TK stellt Innovationsreport 2015 vor: AMNOG verfehlt Einsparziel – Forschung findet nicht dort statt, wo sie benötigt wird

Berlin, 9. September 2015. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)

verfehlt sein Ziel auch im vierten Jahr deutlich. Es sollte Einsparungen

bei Arzneimittelverordnungen in Höhe von zwei Milliarden Euro jährlich

erzielen. 2014 wurden gerade einmal 320 Millionen erreicht. „Die

wirtschaftliche Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherungen ist also

auf einem homöopathischen Niveau“, so Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender

der Techniker Krankenkasse (TK). „Wenn das AMNOG als viel zitiertes

‚lernendes System‘ konsequent weiterentwickelt wird, sind jedoch viel

größere Einsparungen möglich.“

Der Innovationsreport 2015, den Professor Dr. Gerd Glaeske und

Wissenschaftler der Universität Bremen mit Unterstützung der TK erstellt

haben, zeigt außerdem, dass die frühe Nutzenbewertung auch qualitativ

hinter den Erwartungen zurück bleibt: Von den 20 Präparaten, die im Jahr

2012 auf den Markt kamen, wurden nur zwölf vollständig bewertet. Entweder

war das zu erwartende Verordnungsvolumen zu gering, die Präparate sind

nicht zu Lasten der GKV erstattungsfähig oder es handelt sich um

Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen. „Wenn das AMNOG endlich in der

Arztpraxis ankommen und eine echte Entscheidungshilfe sein soll, müssen

ausnahmslos alle neuen Arzneimittel auf ihren patientenrelevanten

Zusatznutzen bewertet werden“, kommentiert Glaeske.

Nur eine von 20 Ampeln grün

Im diesjährigen Innovationsreport wurden die Präparate wieder nach dem

Ampelschema bewertet. Nur ein Medikament erhielt eine grüne Ampel in der

Gesamtbewertung. Sieben Mal zeigt die Ampel gelb und sogar zwölf Mal rot.

Beim Marketing haben die Pharmahersteller ihre Hausaufgaben hingegen

gemacht. Die Präparate wurden nach ihrer Markteinführung beinahe genauso

häufig verordnet wie die neuen Arzneimittel im Vorjahr (41.000 Packungen zu

49.000 Packungen zu Lasten der TK). Lediglich der Umsatz fiel in Anbetracht

der niedrigeren Innovationskraft auch geringer aus (27,5 Mio. Euro zu 74,0

Mio. Euro).

Trotzdem sind mehr als die Hälfte der untersuchten Präparate schon jetzt in

die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften aufgenommen worden. Nach

einer aktuellen DocCheck-Umfrage im Auftrag der TK treffen 30 Prozent der

befragten Ärzte ihre Entscheidung zur Verordnung neuer Arzneimittel am

häufigsten aufgrund solcher Leitlinienempfehlungen. Nur 15 Prozent der

Befragten gaben das Ergebnis der frühen Nutzenbewertung als häufigste

Informationsquelle an.

Ein weiteres Ergebnis des Innovationsreports: „Die Innovationen fokussieren

auf die falschen Bereiche. Forschung findet erkennbar nicht dort statt, wo

sie benötigt wird“, so Baas. „Statt neuer Antibiotika stehen hauptsächlich

Indikationsgebiete im Fokus, bei denen die Pharmaindustrie die größte

Rendite erwartet.“ Von den 20 neuen Präparaten des Jahres 2012 sind fünf

zur Behandlung von seltenen Erkrankungen zugelassen und neun gegen Krebs.

Diesem zunächst positiven Trend stehen extrem hohe Preise für diese

Medikamente gegenüber. Außerdem bedeutet die vermehrte Zulassung von

Medikamenten gegen seltene Erkrankungen nicht automatisch, dass es nun

deutlich mehr Therapiemöglichkeiten für Menschen gibt, die ein seltenes

angeborenes Leiden haben. Es liegt vielmehr im Interesse der Industrie,

große Volkskrankheiten so umzudefinieren, dass Patientengruppen auf das Maß

von seltenen Erkrankungen verkleinert werden. Dies sichert ihnen einen

relativ raschen Durchlauf durch das AMNOG-Verfahren und per Gesetz einen

Zusatznutzen.

Keine Karenzzeiten für Mondpreise

Baas: „Aus fachlicher Sicht ist es sinnvoll, dass der verhandelte

Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem Tag der Markteinführung gilt und nicht

erst ab dem zweiten Jahr. Entweder hat ein neuer Wirkstoff einen

Zusatznutzen für die Patienten oder nicht. Karenzzeiten für ‚Mondpreise‘

von Präparaten ohne Zusatznutzen müssen also entfallen.“

Es ist außerdem sinnvoll, dass der zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem

pharmazeutischen Unternehmer ausgehandelte Erstattungsbetrag zumindest in

Teilen geheim ist. Öffentliche Preise setzen den Unternehmer aufgrund der

besonderen Rolle des deutschen Marktes (Referenzpreisland) zusätzlich unter

Druck. Durch geheime Preisnachlässe könnten die gesetzlichen Krankenkassen

höhere Rabatte aushandeln, weil die Industrie damit nicht mehr automatisch

in vielen anderen Märkten Abschläge hinnehmen müsste.

In einem Sonderkapitel befasst sich der Innovationsreport mit Arzneimitteln

gegen Krebs. Neben dem demografischen Wandel mit der zunehmenden

Patientenzahl, der längeren Behandlungsdauer und der gestiegenen Zahl an

Krebsmedikamenten, sind es vor allem die hohen Preise, welche die Therapie

zu einer finanziellen Herausforderung für die gesetzlichen Krankenkassen

machen. „Dabei steht der Innovationsgrad und der tatsächliche medizinische

Nutzen häufig nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Preis“, meint

Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mitherausgeber des

Innovationsreports. Zudem weist das AMNOG auch hier gravierende Schwächen

auf. Wenn das Vergleichspräparat in der frühen Nutzenbewertung schon einen

so hohen Preis erzielt, wie es in der Krebsmedizin üblich ist, braucht das

neue Medikament keinen Zusatznutzen zur bestehenden Therapie. Dadurch ist

es auf mittelfristige Sicht nicht möglich, das System vor

Nachahmerpräparaten zu schützen.

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